artikel der suedeutschen zeitung vom samstag, den 7.9.2002

Fahrrad-Renaissance

Die Auferstehung der Geknickten
Eigentlich schon längst vergessen, avancieren die Klappräder der 60er und 70er zum heißen Szene-Tipp


Es war Liebe auf den ersten Blick, als sich Ron und Marny auf einem Flohmarkt im Berliner Stadtteil Friedrichshain erstmals begegneten. Ron, wie immer in Punker-Kluft und Irokesen-Schnitt. Und Marny klein und ganz in Grün. Dabei hatte der Mann aus New York, 27, eigentlich gar nicht vor, sich mit so einer wie Marny einzulassen. Der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass Marny bei dem entscheidenden Treffen noch gar nicht Marny hieß. „Der Name kommt immer erst später“, erklärt der eingefleischte Fahrradfan, der in Berlin vor allem durch seine trashige Karaoke-Show bekannt ist. „Wenn ich ein Rad ein paar Tage gefahren habe, drängt sich ein Name einfach auf. Und dann entscheidet sich auch, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist.“

Ron ist mit seiner Leidenschaft für das 70er-Jahre-Gefährt keineswegs allein. Ganz gleich, ob in München, Düsseldorf oder eben Berlin – immer häufiger haben junge Leute angesichts eines betagten Klapprads dieses unerklärlich warme Gefühl: Sieht ja süß aus. Und es tauchen Erinnerungen an Kindertage auf. An die Eltern, die zu Weihnachten ihre erwartungsfrohen Kinder zu den Geschenken führten. Für den Bruder gab es ein Bonanza-Rad im Chopper- Look mit High-Riser-Lenker, Bananensattel und Knüppelschaltung. Und für die Schwester eben das Klapprad. So praktisch, weil es mitwachsen konnte.

Aus heutiger Sicht ist das Klapprad eine anachronistische Fehlkonstruktion. Die mangelhaften Fahreigenschaften des hecklastigen Gefährts erfordern nicht nur hohe Konzentration und Balance. Auch das Scharnier in der Mitte des Rahmens sorgt eher für Ärger, als dass es Raumprobleme löst: Zusammengeklappt ist das Rad immer noch viel zu sperrig. Dafür aber sind Fälle bekannt, in denen sich das Scharnier während der Fahrt ungewollt öffnete und dadurch schwere Unfälle verursachte. Kein Vergleich mit modernen Falträdern, die Wunder an Sicherheit sind und, zusammengelegt, fast in ein Bordcase passen.

Aber vielleicht sind es ja gerade die vielen Macken, die dafür sorgen, dass das Klapprad nicht nur unter trend-resistenten Zeitgenossen, sondern zunehmend auch unter jungen Leuten eine treue Gefolgschaft hat. Wer einmal den Bogen raus hat, wie sich das kippelige Gefährt sicher steuern lässt, mag sich offenbar nur noch schwer an die kühle Perfektion moderner Bikes gewöhnen. So steckt wohl auch ein versteckter Aufstand gegen die Konsumgesellschaft dahinter, wenn langjährige Klappradfahrer wie der Münchner Rentner Volker Meys, 63, oder der Berliner Kundendiensttechniker Roland Strecker, 45, mit fester Stimme behaupten: „Ich brauche weder 24Gänge noch eine Federung.“

Der kluge Klappradfahrer genießt und schweigt. So ungefähr könnte das Motto lauten. Denn während Klappradfahrer in den Augen anderer eine komische Figur abgeben, dürfen sich die unkonventionellen Pedaltreter selbst umso mehr über einen heimlichen Vorzug freuen: Ihr Vehikel wird von Dieben weitgehend verschmäht. „Ich bin schon immer Klapprad gefahren“, bekennt etwa Anne, eine Fotografin aus Düsseldorf. „Denn Klappräder werden nicht geklaut.“

Dass diese integrierte Diebstahlsicherung allerdings an Zuverlässigkeit einbüßt, daran ist die Düsseldorferin auch selbst schuld. Denn seit sie vor fünf Jahren erstmals ihr Faible für das komische Bike unter www. klapprad.de im Internet veröffentlichte, wecken die skurrilen Oldtimer auch bei Dieben Interesse.

„Mein erstes Hercules-Klapprad habe ich vor zwei Jahren aufgelesen“, erzählt etwa Bernadette, 26, Inhaberin einer kleinen Szene-Boutique in Berlin. Als Hercules dann spurlos verschwand, kostete der Nachfolger auf dem Flohmarkt bereits zwölf Euro. Ihre Freundinnen Ina und Isabell mussten vor knapp zwei Monaten noch mehr hinblättern: „Um die 45 Euro liegt der Preis für ein Klapprad derzeit“, beschwert sich Bernadette.

In kleineren Städten und auf dem Land sind die Preise noch moderat. „Bei uns in Speyer“, erzählt Peter Zürker, 38, Verwaltungsbeamter, „kosten die zwischen 15 und 20 Euro.“ Doch ob das so bleibt, ist fraglich. Denn auch dort nimmt die Nachfrage stetig zu – der Kalmit-Klapprad-Cup, ein von Zürker 1992 aus der Taufe gehobenes Spaß-Rennen, zieht Kreise. Nun war es wieder soweit. „Am Anfang waren wir nur vier Fahrer“, erinnert sich Zürker; jetzt waren es schon 30 Starter. Mit Volldampf geht es eine Bergstrecke runter, danach sind die Räder endgültig Schrott. Und die Preise steigen weiter.

Tine Lehnertz